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Ich bin nicht mehr wer ich war als ich damals ging

Ein Schritt.

 

Und ein weiterer.

Immer vorwärts, nie zurück.

Vor mir eine Wand. Weiß, schlicht, hoch.

Kalt.

 

Bilder hängen an der Wand; bunte, graue, kleine, große, quadratische, runde Bilder.

Ein Wirbel aus Farben, ein Wirbel aus Erinnerungen, ein verschlingender Strudel aus Gefühlen.

Gefühlen, die ich verdrängt habe.

Gefühle, die sich ihren Weg nach oben kämpfen.

Gefühle, die mich erschlagen, mich taub zurücklassen.

Mich überwältigen.

 

Ich gehe einen Schritt zurück, brauche Abstand, muss mich distanzieren.

Von mir selbst.

Von meinen Gefühlen, meine Erinnerungen, meinen Farben.

Mit jedem Schritt, denn ich zurück gehe verblassen sie immer mehr.

Sind nur noch ein Hauch an Gewesenem.

Ich halte inne, höre in mich, warte auf Resonanz.

Stille.

 

Ich wage vorsichtige Schritte nach vorne, berühre ein Bild, sehe mich,

glücklich, verliebt, ein anderer Mensch.

Ich hole Luft und lasse die Erinnerungen, die Gefühle, die Farben zu.

Ich lasse meine Vergangenheit Einfluss nehmen auf mein Jetzt.

Durchlebe Freude, unbändige Liebe, Leidenschaft, Trauer, Dunkelheit, Geborgenheit, Verlust.

 

Und tauche wieder auf.

Ich bin verwundert, irritiert; verstehe nicht, was passiert.

Das Bild in meiner Hand strahlt nach wie vor,

die Farben, die Erinnerungen, die Gefühle sind immer noch spürbar.

Aber sie harmonieren.

Überwältigen, betäuben, erschlagen mich nicht mehr.

Müssen nicht mehr kämpfen.

Sie sind einfach da.

 

Ich werde mutiger, greife erneut nach vorne, berühre die Wand.

Sie ist kalt, rau, hat Lücken und Löcher.

Und hinter all den schönen bunten Bildern ist sie fleckig, hat Risse und droht einzustürzen,

steht doch und hält all den Erinnerungen, den Gefühlen, den Farben, die an ihr hängen, stand.

 

Mir wird klar, die Wand ist ich und ich bin die Wand.

Sie verschließt den Weg zurück und ich begrenze ihren Einfluss ins Jetzt.

Wir blockieren uns. Beschützen uns. Schließen uns aus und schließen uns sicher ein.

 

Ein Blick nach vorne.

Keine Wand.

Keine Farben, keine Erinnerungen, keine Gefühle.

Nur Stille.

 

Und ich begreife: Ich bin nicht mehr wer ich war, als ich damals ging.

Muss nichts aufgeben, muss aber auch mich nicht aufgeben.

Muss nicht sein wer ich gewesen bin.

Kann mich völlig neu erfinden.

Wer will ich sein?

Ich sehe zurück.

Bedanke mich bei Momenten, Erinnerungen, Menschen, die noch sind, und Menschen, die nie mehr sein werden.

Atme alle Farben ein.

 

Und gehe weiter nach vorne.


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